Rechtliche Grundlagen und Praxis für kleine Windkraftanlagen in Schweizer Wohnzonen

Am 15. April 2024 fällte das Departement Bau, Verkehr und Umwelt (BVU) einen Entscheid betreffend eine Kleinwindkraftanlage, der den vorausgehenden Gemeinderatsbeschluss aufhob. Dieser hatte ein Baugesuch für eine kleine Windkraftanlage in einer Wohnzone abgelehnt. Das Urteil beleuchtet sowohl verfahrensrechtliche als auch materielle Aspekte und zeigt grundlegende Anforderungen an Baugesuche auf, insbesondere in Bezug auf die Abgrenzung von Richtplanvorgaben und verbindlichem Recht.

1. Verfahrensrechtliche Aspekte

1.1 Öffentliche Auflage als zentrale Verfahrensvorschrift

Gemäss § 60 Abs. 2 Baugesetz (BauG) ist jedes Baugesuch durch den Gemeinderat zu publizieren und 30 Tage lang aufzulegen. Dies dient der Transparenz und gewährleistet, dass direkt oder indirekt Betroffene Einwendungen erheben können. Das BVU betonte, dass auch bei offensichtlicher Nichtbewilligungsfähigkeit eines Gesuchs keine Ausnahme von diesem Grundsatz gemacht werden darf.

1.2 Vorwegentscheid gemäss § 54 Abs. 4 Bauverordnung (BauV)

Der Gemeinderat hatte argumentiert, dass ein Vorwegentscheid zulässig sei, wenn ein Bauprojekt „von vornherein nicht bewilligungsfähig“ sei. Das BVU klärte jedoch, dass auch in einem solchen Fall ein Hinweis erfolgen muss, dass die Bauherrschaft innert 30 Tagen ein ordnungsgemässes Verfahren verlangen kann. Der Gemeinderat hatte dies unterlassen und damit eine zentrale verfahrensrechtliche Voraussetzung verletzt.

1.3 Bindung an die verfahrensrechtlichen Standards

Das BVU hob hervor, dass der Gemeinderat weder die rechtliche noch die formelle Grundlage hatte, das Baugesuch ohne vorherige Publikation und Auflage abzulehnen. Dieser Verfahrensfehler führt bereits allein zur Aufhebung des Gemeinderatsentscheids.

2. Materielle Beurteilung

2.1 Richtplan als Grundlage

Der Gemeinderat stützte seine Ablehnung auf den Richtplan des Kantons Aargau, der kleine Windkraftanlagen in Industrie- und Gewerbezonen als zonenkonform beschreibt. Das BVU stellte klar, dass der Richtplan ausschliesslich für Behörden verbindlich ist und keine direkte gesetzliche Grundlage zur Ablehnung eines Baugesuchs darstellt. Der Richtplan ist nicht grundeigentümerverbindlich. Vielmehr sind Baugesuche primär anhand der kommunalen Bau- und Nutzungsordnung (BNO) zu beurteilen.

2.2 Unterschied zwischen kleinen Windkraftanlagen und Mikrowindanlagen

Das BVU verwies auf die Antwort des Regierungsrats zu einer Interpellation (23.279), die klarstellt, dass Mikrowindanlagen – wie sie im vorliegenden Fall geplant sind – nicht im Fokus des Richtplans standen. Diese Anlagen, die auf bestehenden Gebäuden installiert werden, unterscheiden sich wesentlich von freistehenden kleinen Windkraftanlagen. Der Richtplan schliesst Mikrowindanlagen in Wohnzonen somit nicht aus.

2.3 Anforderungen an die Zonenkonformität

Das BVU betonte, dass eine Ablehnung nur zulässig ist, wenn das Baugesuch klar gegen die geltende Nutzungsplanung der Gemeinde verstösst. Für eine Verhinderung solcher Anlagen in Wohnzonen müssten entsprechende Regelungen explizit in der BNO verankert sein, was hier nicht der Fall war.

2.4 Berücksichtigung von Umweltaspekten

Das BVU wies darauf hin, dass Umweltwirkungen wie Lärmimmissionen und Blendwirkungen im Rahmen der Prüfung eingehend zu bewerten sind. Mikrowindanlagen können erhebliche Auswirkungen auf die Umgebung haben und müssen daher wie jede andere Baute gemäss § 59 Abs. 1 BauG geprüft werden.

3. Energiestrategie und rechtliche Grundlagen

3.1 Bedeutung der Energiestrategie energieAARGAU

Der Gemeinderat hatte auf die kantonale Energiestrategie verwiesen, die auf eine sichere, wirtschaftliche und nachhaltige Energieversorgung abzielt. Das BVU stellte jedoch klar, dass diese Strategie keine rechtsverbindlichen Handlungsanweisungen für Gemeinden oder Private enthält. Vielmehr bedarf es spezifischer Regelungen in der Nutzungsplanung.

3.2 Fehlende Grundlage im Energiegesetz

Auch der Verweis auf § 13 des Energiegesetzes (EnergieG) wurde vom BVU als unbehelflich bewertet. Diese Vorschrift dient lediglich der Energieplanung und bildet keine Grundlage für ein Verbot von kleinen Windkraftanlagen in Wohnzonen.

4. Konsequenzen und Handlungsempfehlungen

4.1 Aufhebung und Rückweisung

Das BVU hob den Entscheid des Gemeinderats auf und wies diesen an, das Baugesuch ordnungsgemäss zu publizieren und anschliessend materiell zu prüfen. Dabei sind sowohl die allgemeine bau- und umweltrechtliche Gesetzgebung als auch die spezifischen Vorschriften der BNO zu beachten.

4.2 Prüfung im ordentlichen Verfahren

Angesichts der noch offenen Fragen zu Umweltwirkungen und Zonenkonformität wäre gemäss BVU das ordentliche Baubewilligungsverfahren angezeigt. Mikrowindanlagen können aufgrund ihrer technischen und rechtlichen Besonderheiten nicht als Bagatellbauten behandelt werden.

5. Bedeutung für die Praxis

5.1 Klare Abgrenzung von Richtplan und verbindlichem Recht

Das Urteil verdeutlicht, dass der Richtplan keine unmittelbare Rechtsgrundlage darstellt und Baugesuche vorrangig anhand der geltenden Nutzungsplanung und -vorschriften zu beurteilen sind. Gemeinden müssen sicherstellen, dass ihre BNO klare Regelungen für Windkraftanlagen enthält.

5.2 Umgang mit Mikrowindanlagen

Mikrowindanlagen stellen eine neue Dimension der Energieproduktion dar, die spezifische rechtliche Rahmenbedingungen erfordert. Diese Anlagen sollten nicht pauschal mit traditionellen Windkraftanlagen gleichgesetzt werden.

5.3 Bedeutung der Verfahrenssicherheit

Das BVU betonte die Wichtigkeit der Einhaltung aller Verfahrensvorschriften, um die Rechte von Dritten zu wahren und rechtliche Sicherheit zu gewährleisten.

Dieses Urteil hat grundlegende Bedeutung für die Baupraxis und die Planung von Kleinwindkraftanlagen in der Schweiz. Es setzt klare rechtliche Standards für die Beurteilung und Genehmigung solcher Projekte und fordert die Gemeinden zur Überarbeitung ihrer Nutzungsplanung auf.

https://gesetzessammlungen.ag.ch/app/de/decrees/9088

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