Bundesgerichtliche Updates zum Unterhaltsrecht
Unter welchen Bedingungen ist nachehelicher Unterhalt auch nach dem Erreichen des ordentlichen Rentenalters geschuldet? Wie ist die zweistufig-konkrete Berechnungsmethode bei Unterhaltszahlungen anzuwenden, wenn der Unterhaltsschuldner im Ausland lebt? Und gilt es aufenthaltsrechtliche Aspekte bei der zweistufig-konkreten Berechnungsmethode miteinzubeziehen? Mit diesen Fragen hatte sich das Bundesgericht im Urteil 5A_987/2023 vom 7. August 2024 zu befassen.
Im Mai 2023 schied das Regionalgericht Berner Jura-Seeland die 50 Jahre bestandene Ehe eines pensionierten Ehepaars. Der seit 2017 in Bulgarien lebhafte Ehemann wurde lebenslang resp. bis zur erneuten Wohnsitznahme in der Schweiz zur Leistung von nachehelichem Unterhalt in der Höhe von monatlich CHF 446.00 verpflichtet. Die hiergegen durch den Ehemann erhobene Berufung wies das Obergericht des Kantons Bern ab, worauf dieser mit Beschwerde in Zivilsachen vor Bundesgericht gelangte.
Die vor Bundesgericht zu beantwortende, zentrale Frage war, ob nach Erreichen des ordentlichen Rentenalters überhaupt noch Raum für eine nacheheliche Unterhaltspflicht bestehen kann. Grundvoraussetzung für nachehelichen Unterhalt ist, dass eine Ehe lebensprägend war, was das Bundesgericht vorliegend zweifellos bejahte. Das diesfalls 50 Jahre angedauerte Zusammenleben, die gemeinsamen Kinder und die klassisch gelebte Hausgattenehe wirkten auf die Ehegatten lebensprägend. Für die weitere Beantwortung der Frage stützte sich das Bundesgericht auf eigene, gefestigte Rechtsprechung. Bei erst im Rentenalter geschiedenen Ehegatten besteht ein Anspruch auf Fortsetzung des zuletzt gelebten Lebensstandards, was mittels nachehelicher Unterhaltszahlungen umgesetzt wird. Doch auch in diesen Fällen ist eine angemessene Begrenzung der Unterhaltspflicht vorgesehen. Im zu entscheidenden Fall kam das Bundesgericht jedoch entgegen dieser Rechtsprechung zum Schluss, dass eine Begrenzung infolge des schon weit fortgeschrittenen Alters der Ehegatten (77- und 83-jährig) nicht angebracht sei.
Überdies befasste sich das Bundesgericht mit der Frage, wie die zweistufig-konkrete Methode für die Berechnung des Unterhaltsbeitrags anzuwenden ist, wenn der Unterhaltsschuldner nicht in der Schweiz lebt. Für die genannten Berechnungen stellten die kantonalen Instanzen auf die konkreten, in Bulgarien herrschenden ökonomischen Verhältnisse ab. Sie setzten eine Kaufkraftparität von 34% und Lebenshaltungskosten von 50% im Vergleich zur Schweiz voraus. Auf diese Weise kamen sie zum Schluss, dass der Ehemann mit seiner Schweizer Rente von monatlich CHF 2‘177.00 in der Lage ist, den nachehelichen Unterhaltsbeitrag in der Höhe von monatlich CHF 446.00 zu leisten. Das Bundesgericht bestätigt diese vorinstanzlichen Überlegungen. Bei der zweistufig-konkreten Methode - Berechnungsgrundlage für die Höhe von nachehelichem Unterhalt - bilden die konkreten Verhältnisse Ausgangspunkt und Wesenskern der Unterhaltsberechnung. Es müssen folglich die konkreten finanziellen Ressourcen und Bedürfnisse der beteiligten Personen ermittelt werden. Gelten zwischen den Wohnorten von Unterhaltsschuldner und Unterhaltsgläubiger Kaufkraftdisparitäten, hat das unterschiedlich hohe Ausgaben und Existenzminima zur Folge. Somit betont das Bundesgericht unmissverständlich: Bei der Anwendung der zweistufigen-konkreten Methode gilt es stets auf die individuellen, konkreten ökonomischen Verhältnisse abzustützen.
Schliesslich hatte das Bundesgericht darüber zu befinden, ob aufenthaltsrechtliche Aspekte bei der Auferlegung von nachehelichen Unterhaltspflichten zu berücksichtigen sind. Der Beschwerdeführer macht geltend, dass er durch die vorinstanzlich aufgelegte Unterhaltspflicht unter das in der Schweiz geltende Existenzminimum fällt, wodurch er bei einem Aufenthalt in der Schweiz auf Sozialhilfe angewiesen wäre. Sozialhilfeabhängigkeit habe für ihn als nicht-Schweizer und italienischen Staatsbürger wiederum zur Folge, dass er keinerlei Chancen auf eine Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz habe. Der Beschwerdeführer kommt demnach zum Schluss, dass die Unterhaltspflicht zu einer indirekten Diskriminierung führt. In den diesbezüglichen Erwägungen stellt das Bundesgericht erneut auf den Wesenskern der zweistufig-konkreten Methode ab. Zum einen erfolgt die Berechnung anhand aktueller Verhältnisse. Das Bundesgericht stellt fest, dass der Beschwerdeführer aktuell keine konkreten Vorhaben zeigt, in die Schweiz zurückzukehren und sich hier aufzuhalten, weshalb diese Spekulation nicht einzubeziehen sei. Zum anderen geht es bei der Unterhaltsberechnung nach der zweistufig-konkreten Methode ausschliesslich darum, die auf beiden Seiten bestehenden effektiven materiellen Bedürfnisse abzudecken. Grundlage und Ziel der Unterhaltsberechnung ist nicht, potenzielle Fernziele zu ermöglichen, alle denkbaren Optionen offen zu lassen oder gar einen Aufenthaltstitel zu garantieren. In diesem Sinne sind aufenthaltsrechtliche Aspekte bei der Auferlegung von nachehelichen Unterhaltspflichten nicht zu berücksichtigen.
Vor diesem Hintergrund wurde die Beschwerde abgewiesen.
Stichworte: Kinderunterhalt, Scheidung, Alimente, Rentenalter, Existenzminimum